Sprung ins Dunkle

Erst Jahre später tauchte die Band mit einer neuen Veröffentlichung aus der Versenkung auf. Allerdings hatte die Band nun ein verändertes Line-up. Von der alten Besatzung war, außer Sänger Nigel Degray, niemand mehr an Bord. Das fiel anfänglich aber niemandem auf, da auf der Innenhülle ihrer neuen CD Angst + War die alten Kämpen der Originalbesetzung von 1984 zu sehen waren und auch Hanzy Nischwitz alias „Riffdoctor“ noch die Gitarre bedient hatte. Wie sich hingegen herausstellte war er kein festes Mitglied der Gruppe mehr und trat auch öffentlich nicht in Erscheinung. In Deutschland waren Anfang der 1990er Jahre Goth-Metal und die Neue Deutsche Todeskunst (NDT) im Kommen und im Gegensatz zu England und den Vereinigten Staaten boomte Gothrock in Deutschland geradezu. Dadurch hatten auch Marquee Moon ihr Revival. (22) Ihre 1992 erschienende CD Angst + War kam sehr gut beim Publikum an. Die Fans erinnerten sich noch an ihre früheren Erfolge und feierten die Rückkehr der verloren geglaubten Söhne zum Teil frenetisch. Mit Angst + War meldete sich eine der besten deutschen Bands zurück und fuhr die Ernte ein, die sie mit Beyond the Pale gesät hatte. Diese CD traf genau den (dunklen) Geschmack der Zeit und fand mit Songs wie The Voice  und Edge of time beziehungsweise MCP Man und So near, so far  die perfekte Balance zwischen Düster-Vertonung und Gothic-Virtuosität. Mit diesem Album untermauerten sie ihren Ruf als Kultband des Gothic-Rock.

 

                                                       

 

Hausgötter des deutschen Gothic-Rock

Nachdem die Band noch fast ein weiteres Jahr gebraucht hatte, um sich neu zu reformieren, ging es im Spätsommer 1993 wieder regelmäßig auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Zur neuen Mannschaft gehörten in diesen Jahren, neben Band-Lenker Nigel Degray, unter anderem noch York Gröning, Matthias Hackbeil, Christian Fiedler und Jörg Künicke. In öfter wechselnder Besetzung absolvierten sie etliche Konzerte, Tourneen und Festivals, wie zum Beispiel das größte deutsche Gothic Festival, das „Wave-Gotik-Treffen“ in Leipzig, die Tour „Gothic Over Europe“ oder das „Bizarre Festival“. Mit ihren beeindruckenden Live-Auftritten begeisterten sie nicht nur ihre alten Fans sondern gewannen eine völlig neue Fangeneration und avancierten damit endgültig zu Hausgöttern des deutschen Gothic. In den folgenden Jahren wurden immer wieder Songs aus allen Schaffensphasen der Band auf zahlreichen Gothic-Samplern veröffentlicht. 1995 erscheint endlich ein neues Werk der Gruppe. Die CD Desert House enthielt allerdings nur fünf Stücke und mutete eher wie ein Zwischenspiel oder wie der Vorbote einer kommenden CD an. Zwei der fünf Songs waren Live-Mitschnitte ihrer letzten CD und drei Stücke waren neu. Die Songs Kiss Of Death, The Spell und der Titelsong schienen zu signalisieren, dass die Band an Erfolge aus früheren Tagen anknüpfen wollte, da sie alle Elemente enthielten, die die Gruppe auch schon zwischen 1984 und 1989 genutzt hatte. Zumindest schienen Marquee Moon auf dieser Silberscheibe ihre ganz eigene Auffassung von Gothic-Rock zu haben. Ein halbes Jahr später wurde bereits in einigen Interviews das lang ersehnte, kommende Album No More Intelligence?  angekündigt. (23) Erscheinen sollte es allerdings nie.

 

                                                        

 

Es wird dunkler, wenn ein Stern erlischt

Stattdessen erscheint im Jahr 1996 die CD Best-Of Marquee Moon, die viele ihrer Hits enthielt und einen Querschnitt ihres gesamten Schaffens darstellte. Was die Öffentlichkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, ist, dass die beiden darauf enthaltenen Bonus-Tracks Ghostdance und New Religion aus der Session des geplanten neuen Albums No More Intelligence? stammen. Diese neue Platte war ja, wie bereits gesagt, schon groß angekündigt worden und es waren auch weitere Konzerte geplant. In einem Interview im Musikmagazin Zillo sagte Nigel Degray unter anderem, die Chemie in der Band sei so gut wie nie zuvor. Trotzdem sollte es nicht allzu lange dauern, bis zwei, erst kürzlich zur Band gestoßene Mitglieder, Dirk Weinert und Torben Stupp, schließlich wieder ausstiegen. Das machte Frontmann Degray ziemlich zu schaffen, da bereits die Aufnahmen zur neuen CD in vollem Gange waren. Der Titelsong No More Intelligence? war ebenfalls schon eingespielt und weitere Stücke sollten folgen. In der Zeit dieser Aufnahmen trat man auch mit dem Wunsch an die Band heran, einen Song für den David-Bowie-Tribute-Sampler The Dark Side of David Bowie beizusteuern, der 1997 erscheinen sollte.

 

(Allerdings kam dieser erst mit zweijähriger Verspätung auf den Markt. Der Beitrag von Marquee Moon war Holy Holy. In einer Rezension dieses Titels ist unter anderem folgendes zu lesen: „…gelegentlich wird der geneigte Hörer von Unerwartetem überrascht. Marquee Moon`s Holy, Holy zum Beispiel hat prächtigen Drive, verzichtet auf Goth-Manierismen und riskiert den Sprung zurück zu den Wurzeln…“). (24)

 

                                                     

 

Hinzu kam, dass italienische Fans bereits zahlreiche Bitten an die Band gestellt hatten, sich doch endlich wieder mal in ihrem Land blicken zu lassen. Und die Fans hatten verschiedene regionale italienische Radiosender geradezu mit Anfragen zu Songs der Band überschüttet und das verfehlte seine Wirkung nicht. So kam aus Italien zusätzlich die Frage nach Live-Auftritten und brachte Degray dadurch ziemlich ins Schwitzen. Ähnliches war übrigens gut zehn Jahre früher schon einmal passiert, als der Song Beyond the Pale 1985 in die internationale Hitparade des Senders Freies Berlin (SFB) einstieg. Der Radiosender wurde damals dermaßen mit Votings für diesen Song zugeschüttet, dass sich der Moderator Jürgen Jürgens gezwungen sah, nicht alle Abstimmungen zu werten und zuzulassen. Sonst wäre der Song einer zum damaligen Zeitpunkt noch relativ unbekannten Independent-Band nicht „nur“ auf Platz 6 sondern auf Platz 1 gelandet. Und das ging natürlich nicht.

Im April 1997 startete schließlich ein relativ schnell organisierter Trip nach Italien, der noch um einige Auftritte in Österreich und Deutschland erweitert wurde. Eine größere Tour durch Italien war dann erst für den Herbst vorgesehen. Daneben waren bereits etliche weitere Konzerte für das Jahr 1997 geplant oder auch schon fest gebucht. Die Band konnte mit dieser Entwicklung also sehr zufrieden sein. Auch die Best-Of- CD war überaus erfolgreich und fand entsprechend viele Käufer. (25) Obwohl sich das Jahr gut für die Band anließ und sehr erfolgversprechend zu verlaufen versprach, muß dann doch etwas passiert sein, was zu der herannahenden, abschließenden Entwicklung geführt hat.

Viele Anhänger der Band erfuhren nämlich erst lange Zeit später, dass sich Marquee Moon bereits kurz nach ihrem Auftritt beim „Bizzarre Festival“ im August 1997 aufgelöst hatten. Warum und wieso, ist für viele Fans auch heute noch ein Rätsel. Damit war eines der Zentralgestirne des deutschen Gothic für immer erloschen und in der Ewigkeit verglüht. Die Vorbilder und Lieblinge einer ganzen Generation hatten sich von der Welt verabschiedet.

 

                               

 

Epilog

Marquee Moon sind heute für viele der Inbegriff von ursprünglichem, ideenreichem vor allem aber wegweisendem 80er Gothic-Rock. Ihren festen Platz in der Musikgeschichte haben sie sicher. Über den ganzen Zeitraum ihrer Karriere sind sie sich selbst treu und damit unabhängig geblieben. Wenn eine Band als echte Independent-Band bezeichnet werden kann, dann ist das Marquee Moon. Sie haben als einige der wenigen Bands im Musikgeschäft ihre Punk-Wurzeln nie verraten und sind keine faulen Kompromisse eingegangen. Das haben ihre alten Fans, aber auch neuere Generationen dieses Musik-Genres, nicht vergessen. Heute werden sie als Leitbilder, Meilensteine, Ikonen, Helden oder Idole des deutschen Gothic-Rock bezeichnet und die Liste ihrer Titulierungen ist damit noch lange nicht abgeschlossen. Als einer der Hauptdarsteller im Rock-Zirkus der achtziger und neunziger Jahre haben sie sich alle diese Titel ehrlich verdient und tragen sie zurecht.

 

 

Hier ist das Ende unserer Reise durch das Marquee-Moon-Universum.

Wie heißt es an anderer Stelle dann immer so schön?

Danke, dass Sie mit uns geflogen sind.

 

 

 

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Woher wir unsere Weisheiten haben:

 

Quellen und Einzelnachweise:

(1) gothic.at, reviews, Calling Dead Red Roses,  Abrufdatum: Dezember 2011

(2) www.kleinertod.de, Artikel zu Land of Passion, Abrufdatum: November ‎2011

(3) vergl. www.twang-tone.de, 45kicks2, zu: The Chud – Don’t Call Me Batman,

     Abrufdatum: April 2010

(4) vergl. Mike Korbik, Liner Notes zur Compilation: Dancing, Food & Entertainment,

     German Neo Psych Classics, 2008  

(5) vergl. Interview der Band Marquee Moon in: Blickpunkt, Juni 1985

(6) vergl. Interview der Band Marquee Moon in: Blickpunkt, Juni 1985

(7) Graf, Christian: Rocklexikon Deutschland, Seite 231, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2002 

(8) vergl. Auszüge aus einer Diskussion zwischen TcoJ,  Haerangil, Nergal und anderen

      Teilnehmern zum Thema Gothic-Kultur, in: Gothic (Kultur), Archiv 1, Abrufdatum:

      August ‎2011

(9) vergl. Stormy Visions Radio,  Marquee Moon - Prince Of Darkness, Gothic-Reihe Teil 4,

     Abrufdatum: September 2011

(10) Berlin Visions in: Blickpunkt – Das Jugend-Journal aus Berlin, Herbst 1984

(11) Musikmagazin Musik Szene, Nummer 5, aus 1985

(12) vergl. Matzke u. Seeliger: Das Gothic- und Dark Wave-Lexikon, Erweiterte Neuauflage,

       Seite 364, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003

(13) Limited Edition, Nummer 12, aus 1986

(14) Limited Edition, Nummer 13 aus 1986

(15) Berliner Stadtmagazin Zitty, Nummer 21 aus 1986

(16) Tip - das Stadtmagazin für Berlin, Nummer 23 aus 1986

(17) Tip - das Stadtmagazin für Berlin, Nummer 19 aus 1987

(18) Berliner Stadtmagazin Zitty,  Nummer 19 aus 1987

(19) The Commercial Zone, Abrufdatum: Mai 2009

(20) French and international records collectors, Abrufdatum: November 2009

(21) Rezension von Andreas Baader in: Amazon.de, Abrufdatum: Oktober 2010

(22) vergl. Auszüge aus einer Diskussion zwischen TcoJ,  Haerangil, Nergal und anderen

       Teilnehmern zum Thema Gothic-Kultur, in: Gothic (Kultur), Archiv 1, Abrufdatum:

       August ‎2011

(23) Zillo, Ausgabe Nummer 11, Dezember 1996

(24) The Dark Side of David Bowie in: amazon.de, Abrufdatum: Juli 2006

(25) vergl. Matzke u. Seeliger: Das Gothic- und Dark Wave-Lexikon, erweiterte Neuauflage,

       Seite 364, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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